Eigentlich hatte Emory nie geglaubt, dass ihn sein Weg eines Tages zurück nach Golden Lake führen würde. Die kleine Stadt, in der er aufwuchs, hatte er in jugendlichem Eifer hinter sich gelassen. Fast so, als müsse er sich freistrampeln von allem was ihn dort festzuhalten drohte. Für das Studium hatte es ihn nach Boston gezogen – sieben lange Jahre, in denen er nicht nur die Hörsäle von innen sah, sondern auch zahllose Nebenjobs erledigte, denn Reichtum war in seiner Familie nie vorhanden gewesen und jeder Dollar für Miete, Bücher oder Verpflegung musste selbst verdient werden. Am Ende jedoch hatte es sich ausgezahlt: Heute kann er stolz den Master in Journalismus vorweisen. Der Boston Herald, die traditionsreiche Tageszeitung der Stadt, hatte ihn mit offenen Armen aufgenommen und ihm damit eine berufliche Heimat geschenkt. Doch nun ist er bereits seit vier Monaten wieder in der Kleinstadt.
Emory war schon immer »extrovertiert introvertiert« gewesen. Er mag das Alleinsein. Doch wenn es die Umstände verlangen, kann er auch gesellig sein, in Gesellschaft aufgehen und Gespräche führen – nur braucht es dafür eine gewisse Vorbereitung. Worte flossen ihm mühelos aufs Papier, aber im spontanen Gespräch versagen sie bisweilen. Kaum verwunderlich eigentlich. Schon früh hatte er lernen müssen, auf sich selbst aufzupassen, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Sein Vater – ein notorischer Trinker, alleinerziehend und niemals wirklich anwesend – war zwar nie gewalttätig geworden, aber er war ebenso wenig eine Stütze. Zwischen ihnen hatte es nie ein festes Band gegeben, höchstens dünne Fäden, die im Laufe der Jahre brüchig wurden. Golden Lake hinter sich zu lassen, war also nicht nur ein Schritt hinaus in die Welt, sondern auch ein Schritt weg von dieser Leere die zu Hause herrschte.
Dennoch ist er nun zurückgekehrt. Zurück, weil die Pflicht stärker ist als der Groll und die Enttäuschung. Zurück, um sich um den Mann zu kümmern, der ihn nie hatte auffangen können. Der Alkohol hatte aus ihm einen gebrochenen, von Krankheit gezeichneten Menschen gemacht, hilfsbedürftig und schwach. Emory hilft ihm nun im Alltag, notgedrungen und mit einer Mischung aus Pflichtgefühl und innerer Distanz. Doch er ist sich bewusst: Auf Dauer konnte er diese Rolle nicht tragen und so sucht er nach einer Pflegeeinrichtung, an der sein Vater besser aufgehoben wäre als bei ihm – und er selbst wieder frei genug, um sein eigenes Leben weiterzuführen.
Nur dass dieses Leben nicht mehr so klar erscheint wie einst. Sein Arbeitgeber in Boston setzt ihn unter Druck: zu lange könne man nicht auf ihn verzichten. Auf Emorys Küchentisch stapeln sich daher bereits Bewerbungenn, darunter auch eine für die lokale Zeitung, die Golden Lake Today. Allein der Gedanke daran, dauerhaft hierzubleiben, erfüllt ihn allerdings mit Widerwillen. Dieser innere Zwiespalt zeichnet sich auch in seinem Auftreten ab. Er wirkt oft abweisend, als wollte er die ganze Welt auf Distanz halten. Dabei ist er, nüchtern betrachtet, in einer durchaus privilegierten Situation: Kein Streit mit einer Ehefrau, die ihn zur Rechenschaft zieht und keine enttäuschten Kinder, die ihn fragend anblicken.
Vielleicht hatte er deshalb nie eine eigene Familie gegründet. Vielleicht redete er sich ein, dass er ohnehin nicht der Typ dafür sei. Schließlich wusste er nicht einmal, wie Familie überhaupt funktionierte. Seine einzige Vorlage war ein Vater, der immer nur ein Schatten gewesen war.